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10 Jahre Unabhängige Opferschutzkommission – Zwischenbilanz und Ausblick

Mehr als 30 Mio. Euro für 2.305 finanzielle und therapeutische Hilfeleistungen
Waltraud Klasnic: Es kann und darf keinen Schlussstrich geben – Zuwendung an die Betroffenen, Aufarbeitung, Prävention und Bewusstseinsbildung haben Priorität

DIn den 10 Jahren ihres bisherigen Bestehens konnte die Unabhängige Opferschutzkommission (UOK) für 2.305 Betroffene von Missbrauch und Gewalt im Bereich der katholischen Kirche in Österreich finanzielle und therapeutische Hilfeleistung im Wert von 30,7 Mio. Euro zuerkennen. Diese Zwischenbilanz über die 10-jährige Tätigkeit der am 26. April 2010 ins Leben gerufenen Kommission zogen Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic und Koordinator Herwig Hösele am Donnerstag, 23. April 2020.

Klasnic wörtlich: „Hinter den Entscheidungen stehen zutiefst betroffen machende Schicksale und meist schreiendes Unrecht, das nie wieder gut gemacht werden kann. Aber es sollen wenigstens Gesten der späten Anerkennung der Menschenwürde der Betroffenen sein. Nach Jahrzehnten des Vertuschens, Verschweigens und Verdrängens ist es in den letzten 10 Jahren zu wichtigen Schritten der Zuwendung an die Betroffenen, Aufklärung und Aufarbeitung gekommen. Es kann und darf aber keinen Schlussstrich geben. Opferhilfe, Prävention und Bewusstseinsbildung müssen künftig Priorität haben. Missbrauch und Gewalt gehören zu den verabscheuungswürdigsten Verbrechen und können Seelen von Kindern und jungen Menschen lebenslänglich beschädigen und zerstören. Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, solchen Vorfällen mit aller Entschiedenheit entgegenzuwirken.“

Bald nach Aufbrechen der Mauer des Schweigens im kirchlichen Bereich im Frühjahr 2010 war öffentlich deutlich geworden, dass Missbrauch und Gewalt in früheren Jahrzehnten auch in vielen staatlichen und privaten Institutionen, begünstigt durch geschlossene Strukturen und unterdrückte Kinderrechte, ausgeübt wurden. Zahlreiche österreichische Gebietskörperschaften übernahmen daraufhin das von der UOK entwickelte „Modell“, das vielfach auch international Anerkennung fand.

Ein kleiner Blick in die Statistik zeigt Folgendes:
Insgesamt wurden 2.496 Betroffenen-Meldungen der Kommission vorgelegt. 2.305, also 92,35 % der Entscheidungen waren positiv.
65 Prozent der Betroffenen, die sich gemeldet haben, sind Männer, 35 Prozent Frauen.
Die allergrößte Zahl der gemeldeten Vorfälle liegt Jahrzehnte zurück:
14,5 %             1950er Jahre und früher
38,1 %             1960er Jahre
31,3 %             1970er Jahre
10,5 %             1980er Jahre
4,0 %               1990er Jahre
1,2 %               ab 2000
Bei 0,4 % sind die Daten nicht bekannt

78 % betrafen körperliche Gewalt, 77 % psychische Gewalt, 30 % sexuelle Gewalt (Mehrfachnennungen waren möglich).
Der Großteil der Betroffenen war in der Zeit des Übergriffes 6-12 Jahre alt (63,8 %), 26,3 % waren 13 bis 18 Jahre alt, 8,3 % waren jünger als 6 Jahre, 1,2 % älter als 18 Jahre.
39,2 % der Betroffenen gehören den Geburtsjahrgängen 1956–1965 an, 36,8 % sind älter, 17,2 % sind Angehörige der Geburtsjahrgänge 1966–1975, 5 % der von 1976–1985 und lediglich 1,7 % der betroffenen Personen sind nach 1986 geboren.

Alle Beschlüsse der Kommission wurden in völliger Unabhängigkeit getroffen und wurden bzw. werden von der Bischofskonferenz und den Orden vollinhaltlich umgesetzt.
In diesem Zusammenhang dankt Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic den fachlich höchst kompetenten und anerkannten Persönlichkeiten, die sich ehrenamtlich für die Mitarbeit in der UOK zur Verfügung gestellt haben, für ihr großes idealistisches Engagement.

Die Kommissionsmitglieder sind:
Dr. Brigitte Bierlein, langjährige Vizepräsidentin und Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes, von Juni 2019 bis Jänner 2020 Bundeskanzlerin
Univ.-Prof. Dr. Reinhard Haller, Psychiater und Neurologe
Hon.-Prof. Dr. Udo Jesionek, Präsident der größten Opferhilfsorganisation "Weißer Ring"
Mag. Ulla Konrad, langjährige Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen, Vorstand Concordia Privatstiftung
Dr. Werner Leixnering, langjähriger Leiter der Abteilung für Jugendpsychiatrie der Landes-Nervenklinik in Linz
Mag. Caroline List, Präsidentin des Landesgerichts für Strafsachen Graz, Mitbegründerin des „Forums gegen Sexuellen Missbrauch"
Dr. Kurt Scholz, langjähriger Präsident des Wiener Stadtschulrates und Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien, Kuratoriumsvorsitzender des Zukunftsfonds der Republik Österreich von 2011 bis 2019
Bis zu seinem Tod 2017 war auch der Doyen der katholischen Publizistik und Ehrenvorsitzende der kritischen Plattform „Wir sind Kirche“, Dr. Hubert Feichtlbauer besonders engagiertes Mitglied der Kommission.
Koordinator der Kommission ist Prof. Herwig Hösele.

Als einen wichtigen Schritt der gesamtgesellschaftlichen und staatlichen Anerkennung der Betroffenen bezeichnete Klasnic die von der Kommission und zahlreichen Opfervertretern seit Februar 2013 geforderte, im Herbst 2016 im Parlament abgehaltene Veranstaltung „Geste der Versöhnung und Verantwortung“, an der die Spitzen des Staates (Nationalrats- und Bundesratspräsidium, Bundeskanzler, Vizekanzler, Vorsitzender der Landehauptleutekonferenz) und Kardinal Christoph Schönborn teilnahmen.

Ein wichtiges Ergebnis der Veranstaltung war das Heimopferrentengesetz (HOG), das am 1. Juli 2017 in Kraft trat, das den „anerkannten Opfern“ aus staatlichen und kirchlichen Heimen, Internaten, Pflegefamilien eine monatliche Rente in der Höhe von € 325,90 (Stand 2020) bringt.

Anlässlich des 10-jährigen Bestehens der UOK wurde die Publikation „Verantwortung! Es kann und darf keinen Schlussstrich geben! 10 Jahre Unabhängige Opferschutzkommission. Zwischenbilanz und Ausblick“ erstellt. Dieses bereits vorliegende Buch enthält u.a. Beiträge aller Kommissionsmitglieder, umfangreiches statistisches Material, einen breiten Rundblick über die nationale und internationale Entwicklung aus der Sicht der Medien und einen Beitrag des Leiters des päpstlichen Kinderschutzzentrums in Rom, Prof. Hans Zollner. Die Präsentation des Buches wurde aufgrund der notwendigen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Covid19-Virus auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

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